Bodily Functions
Preis 48.20 USD
Die Gefahr jeder stilisierten Musikrichtung ist das Versanden in Beliebigkeiten. Wie lange noch wollen Funkstörung oder Autechre herum basteln, wie viele Liter Kaffee müssen noch geschlürft werden, ehe Kruder & Dorfmeister, Thievery Corporation oder De-Phazz radikal neue Ansätze finden. Der Engländer Matthew Herbert aka Herbert aka Wishmountain aka Doctor Rockit aka Radioboy nimmt da eine nicht gerade populäre Haltung ein: Der Gebrauch von Sounds, die bereits existieren, ist nicht erlaubt. Herbert will damit vermeiden, dass das ewige Samplen zu einer immer größeren Annährung der Sounds führt, bis die Nivellierung in Einöde endet. Ein streitbarer Standpunkt: Hat nicht gerade das Samplen Genregrenzen eingerissen und zu einer Art Völkerverständigung unter vielen Musikern geführt, Ängste genommen und neue Wege eröffnet? Für Langeweile sind immer noch unkreative Langweiler zuständig. Verständlich aber ist Herberts Aversion gegen Musiker und Produzenten, die Samples rechtlich nicht abklären und sie nicht einmal in den Credits aufführen. Herbert selbst unterwirft sich seinen eigenen, harten Arbeitsgesetzen: ein Sound darf nur einmal pro Track benutzt werden und gehört nach Verwendung entsorgt. Instrumente sollten soweit möglich nicht imitiert, sondern live gespielt werden. Matthew Herbert schafft es, sich mit Bodily Functions musikalisch aus der Kritik zu nehmen, denn das Album ist so vielen anderen weit überlegen. Als ausgebildeter Musiker kam er schon in frühen Jahren mit Jazz in Berührung und seine Platten samplen den Jazz deshalb natürlich nicht -- sämtliche Passagen sind "organisch", also von Musikern gespielt. Manchmal, wie auf dem Song "About This Time Each Day", drängen die Pianoklänge zu weit in die Lounge Bar vor, dort wo die gepflegten Drinks serviert wird. Auch der finale Dancefloor-Absacker "The Audience" passt trotz seiner liebevoll eingearbeiteten Nebengeräusche auf jeden Sampler der so erfolgreichen Mojo Club-Reihe. Bodily Function strahlt umso heller, je tiefer der Hörer in die Musik eintaucht. Die warmen, gedämpften (House-)Beats bilden das Fundament, auf das der Londoner wie ein Klang-Baumeister Schicht für Schicht feinadrige Töne und wundervolle Geräuschfacetten lagert. So entsteht am Ende ein Palast mit filigran eingerichteten Einzelräumen, in denen wie ein guter Geist auch die Stimme seiner Freundin Dami Siciliano schwebt. --Sven Niechziol