Henri Cartier-Bresson: Das Auge des Jahrhunderts
Es ist ein mutiges und eigentlich auch schon unerhörtes Unterfangen, ein Buch über einen der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts zu schreiben, ohne ein einziges selbst gemachtes Bild dieses Fotografen abzudrucken. Genauso aber verhält es sich mit Henri Cartier-Bresson. Das Auge des Jahrhunderts des französischen Publizisten Pierre Assouline, der bereits hoch gelobte Biografien über so unterschiedliche Größen wie Georges Simenon, Hergé oder Daniel-Henry Kahnweiler vorgelegt hat. Stattdessen finden sich ein paar Fotos aus Cartier-Bressons privatem Fotoalbum: Henri als Kleinkind im weißen Kleidchen mit den mondänen Eltern 1909 auf dem französischen Familiensitz in Fontenelle oder als Schauspieler in Jean Renoirs Film Die Landpartie (1936), Henri im spanischen Bürgerkrieg, als Kriegsgefangener im Stalag, in China, wo gerade Mao die Macht erlangt hat, oder bei einer Versammlung der Agentur Magnum. Und, immer wieder, vielleicht zu oft, da immer gleich aussehend: Cartier-Bresson beim Knipsen, Knipsen, Knipsen. Die privaten Bilder sind klug gewählt: Denn sie erzählen die faszinierende Lebensgeschichte des Fotografen, der mit seiner Lehre vom "entscheidenden Augenblick" -- dem rechtzeitigen Abdrücken auf den Auslöser -- ganze Scharen nachfolgender Fotoreporter beeinflusste, quasi bildlich. Textlich tut dies Assouline, der seinem Helden Cartier-Bresson 1994 erstmals begegnete, auf spannende und gut recherchierte Art und Weise. So entsteht das anschauliche Porträt eines Fotografen, der sich im "entscheidenden Augenblick" an den Brennpunkten der Weltgeschichte wiederfand und sich mit den vorgefundenen Verhältnissen nie abfinden wollte. Nur die Bilder Cartier-Bressons, von denen Assouline nicht selten erzählt, diese Bilder fehlen. --Thomas Köster