Barbier Von Sevilla
Wo beginnen, die Vorzüge dieser Einspielung von Gioacchino Rossinis Barbiere di Siviglia aufzuzählen? Vielleicht mit Sesto Bruscantinis kernig-männlicher Darbietung des Titelhelden: Sein außergewöhnlich kraftvolles und umfangreiches Stimmmaterial erlaubt ihm, in der berühmten Antrittsarie wirklich einen ganzen Kerl zu präsentieren, ohne dass dabei das komödiantische Element zu kurz kommt. Im selben Atemzug mit Bruscantini muss aber auch Victoria de los Angeles genannt werden, die eine geradezu ideale Rosina abgibt. Die unverwechselbare Färbung ihrer Stimme sowie ihre Liebe zum Detail und zu nuancenreicher Gestaltung macht aus der Figur, die oft als Dummchen porträtiert wird, eine differenzierte Persönlichkeit. Stimmschön agiert ferner Luigi Alva als Almaviva, wobei sein Gesang unter der sehr eingeschränkten Koloraturfähigkeit leidet -- eigentlich der einzige Schwachpunkt dieser Aufnahme. Urkomisch und gesanglich souverän präsentiert sich hingegen Ian Wallace als Dr. Bartolo. Die 1962 entstandene Aufnahme geht auf die Glyndebourne- Produktion aus den 50er-Jahren zurück, welche dem durch zahllose bearbeitende Eingriffe geschundenen und abgenutzten Werk einst zu neuer Popularität verholfen hatte. Hierin liegt ein weiterer Vorzug: Der Dirigent Vittorio Gui hatte sich für die Festspielproduktion sehr genau mit der Partitur beschäftigt, und seine Version der Oper nimmt eine später erschienene kritische Ausgabe praktisch vorweg. Aber kehren wir noch einmal zurück zur Qualität des Gesangsensembles: Nicht nur die solistischen Leistungen vermögen weitgehend restlos zu überzeugen, sondern auch die Ensembles sind eine wahre Freude für das Ohr; sie bieten nicht das übliche vibratoreiche und schlecht intonierte Gewackel, sondern haben stets die Brillanz eines aufeinander abgestimmten Klangkörpers. Ausgesprochen unterhaltsam und voller professionell und fantasiereich umgesetzter Komik ist schließlich die Gesamtanlage, und jeder, der vom Barbiere schon immer einmal mehr kennen lernen wollte als nur das "Largo al factotum" und "Una voce poco fa", ist mit diesen CDs erstklassig bedient. --Michael Wersin