"Hymnen heiterer Verzweiflung" oder stilvolle Selbstmördermusik? Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen sie die Packungsbeilage. Chavela Vargas liefert keine leichte Kost. Dazu bricht die schicksalsschwangere Stimme der 80jährigen mexikanischen Sängerin zu intensiv über den Zuhörer herein, sind ihre Texte und Melodien zu schwermütig. Die kaum noch steigerbare Sentimentalität vieler Stücke ist für nordeuropäische Ohren manchmal schwer erträglich, denn Chavela flüstert, brüllt, bittet, fleht und schluchzt, zeigt Gefühl. Mit der schmalztriefenden Gefühlsduselei herkömmlicher Schlager aus Mexiko, sogenannter "Rancheras", haben ihre Lieder allerdings wenig gemein. Die Diva zelebrierte ihre Auftritte vielmehr als kathartische Rituale bis an die Grenzen der Selbstverausgabung. Ähnlich wie im Tango und Fado verbinden sich auch in den Canciones der alten Indianerin persönliche Enttäuschungen und allgemeiner Weltschmerz zu einem universellen Klagelied von zeitlosem Charakter. Die Vargas erhob das mexikanische Volkslied zum Kunstlied, hievte eine Musik, die im wesentlichen viele hundert Jahre alt ist, von der Spelunke in die Konzertsäle. Berüchtigt für ihr exzessives Leben und ihre bedingungslose Hingabe an die Kunst, verfiel sie zwei Jahrzehnte lang dem Alkohol und geriet beinahe in Vergessenheit. Doch vor einigen Jahren feierte sie ein triumphales Comeback. Für ihre authentische Neu-Erfindung der mittelamerikanischen Liedtradition erhielt sie 1997 den Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik. Dos schöpft aus dem Repertoire, das die Sängerin vor einigen Jahren in Spanien einspielte -- bevor sie sich endgültig von der Bühne verabschiedete und auf ihr Altenteil zurückzog. --Wolfgang Zwack