Darwin und Foucault: Genealogie und Geschichte im Zeitalter der Biologie

Preis 31.56 USD

EAN/UPC/ISBN Code 9783518585221


Auch wenn Philipp Sarasin schreibt, sein Buch sei ein "Experiment", so fußt es doch auf einer durchaus starken These: "Foucault stammt von Darwin ab." Sarasin liest die Texte der beiden Autoren parallel und über Kreuz und sieht sein Buch als "Petrischale mit zwei Säuren, deren Charakteristika durch diese ungewohnte Vermischung zur Kenntlichkeit gesteigert werden sollen." Resultat dieser Versuchsanordnung sind zahlreiche neue Perspektiven auf die Texte beider Autoren sowie die Erkenntnis, dass ein Denken über Mensch und Natur ohne Bezüge zu Darwin und Foucault heute kaum mehr möglich ist. Dass der französische Denker vom "Schöpfer" der Evolutionstheorie "abstammt", heißt dabei nicht, dass Foucault ein Darwinist gewesen sei. Diese Formulierung zielt vielmehr auf eine genealogische Abhängigkeit ab, und zwar im doppelten Sinne: Zum einen habe sich Foucaults Denken erst vor dem Hintergrund der Evolutionstheorie in seiner charakteristischen Gestalt entwickeln können; zum anderen haben sich beide der Genealogie als Methode des Erkenntnisgewinns bedient. Für Foucault wie für Darwin war es letztlich schlicht falsch, von Mensch und Natur als Unabänderlichem, Konstantem oder gar Ewigem zu sprechen. In ihrer Wahrnehmung ist Leben primär ein Prozess in Zeit und Raum: ein "ätzender" Gedanke, mit dessen Hilfe Darwin den Schöpfungsmythos und Foucault Begriffe wie "Wahrheit", "Subjekt" oder "Mensch" entzaubert haben. Sarasin geht es aber um mehr als bloße Textrekonstruktion. Er möchte "seine" Autoren auch vor der Vereinnahmung durch Biologismus und Kulturalismus bewahren. Gegen die Reduktion alles Menschlichen auf biologisch beschreibbare Determinanten wie Gene und neurologische Prozesse führt er den Denker Darwin an, der auch und gerade die Natur als etwas historisch Gewachsenes und Wachsendes betrachtete. Einem Kulturalismus, der alle Lebensäußerungen in Diskurse und Zeichensysteme aufzulösen geneigt ist, setzt er die feinsinnigen Subversionen Foucaults entgegen, für den Geschichte keineswegs nur ein semiotisches Theater war und der sich in manchen Passagen geradezu als "Realist" lesen lässt. Die Feststellung, dass Nietzsche maßgeblichen und wahrscheinlich den größten Einfluss aufs Foucaults Werk hatte, ist eher eine Ergänzung denn ein Widerspruch zu Sarasins Ansatz. Ihm geht es darum herauszustellen, dass Foucault auch im Lichte Darwins schrieb; in dem Wissen also, dass alles, was man heute über den Menschen sagen kann, "Darwins genealogischer Frage nach der Herkunft dieses Menschen nicht mehr entgehen kann." Und daran hat sich nichts geändert, wie der Autor als Fazit seines Experiments feststellt: Es gibt "keinen Anfang [...], keinen ursprünglichen Grund, auf den wir rekurrieren können, wenn wir vom Menschen sprechen". Was immer man also in diesem Buch, bei Darwin oder Foucault suchen mag: Festen Boden unter den Füßen findet man nicht. --Roland Große Holtforth, Literaturtest