Zeit des Unbehagens. Roman

EAN/UPC/ISBN Code 9783880223219


Wie immer öffnet Cesares Vater der 17-jährigen Enrica die Tür. Sie besucht seinen Sohn, ihre erste große Liebe, von dem sie übellaunig empfangen wird. Wie immer schläft sie mit ihm und wie immer ist Cesare "gleich fertig". Der alternde Vater steht am Schlüsselloch und schaut zu. Dann schrillt das Telefon. Es ist Cesares Braut. Enrica zieht sich an und geht. Abends trifft sie einen Mitschüler, der sie mit zu einer Teenager-Party nimmt. Früher als die anderen verlässt sie das Fest, um es mit Carlo in einem schmutzigen Schuppen zu treiben. Doch ihre hoffnungslose Liebe gilt weiterhin dem blonden Cesare. Später, als Enrica wieder in die ärmliche Wohnung zurück gekehrt ist, die sie mit ihren Eltern bewohnt, bereitet sie wie immer eine Mahlzeit. Ihr Vater bastelt an einem Vogelkäfig -- seine einzige Leidenschaft. Die Mutter, die die Familie finanziell über Wasser halten muss, ist zunehmend geschwächt von den Strapazen harter Arbeit. Gegenseitiges Desinteresse, Erschöpfung und Lieblosigkeit bestimmen Enricas familiäre Situation, die das Mädchen ohne Klagen akzeptiert. Bald darauf stirbt die Mutter an Lungenkrebs. Der mittellose, alkoholsüchtige Vater wird zum Sozialfall. Enrica, jetzt völlig auf sich gestellt, nimmt einen Job als Privat-Sekratärin an. Als die 17-Jährige merkt, dass sie schwanger ist, lässt sie eine Abtreibung vornehmen. Cesare kommt für die Unkosten auf, Carlo kümmert sich in rührender Fürsorge um das Mädchen. Doch sein Wunsch, dadurch ihre Zuneigung zu gewinnen, wird sich nicht erfüllen. Enrica verlässt Carlo und Cesare, kündigt ihre Arbeitsstelle und macht sich auf, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Enrica, Marainis starke Anti-Heldin, ist arm und ungeliebt. Von ihren Eltern wird sie vernachlässigt, von ihren Männern benutzt. Doch ihre Beharrlichkeit, der Mangel an Sentimentalität, mit der diese Protagonistin ihr Leben akzeptiert, und vor allem ihre Bescheidenheit sind beispiellos. Die italienische Autorin Dacia Maraini registriert die Ereignisse in ihrem Roman scheinbar mit der gleichen Leidenschaftslosigkeit, mit der sie auch Cesare, den egozentrischen Liebhaber Enricas ausstattet. Der Leser von Zeit des Unbehagens ist von der ersten Zeile an ein stummer Voyeur -- wie Cesares Vater. Doch hinter der schnörkellosen und kühlen Erzähl-Fassade von Zeit des Unbehagens verbirgt sich der fesselnde Bericht einer unglaublichen Emanzipationsleistung. Und die Liebe der Autorin für ihre weibliche Hauptfigur ist so groß, dass sie keine Worte braucht -- etwas, was in der Literatur nur selten glückt. Ein wahrhaft ergreifendes Buch, für das ich neun von zehn Punkten vergebe! --J. Hager