Für viele Nichtklassikhörer wurde er zum Synonym für "Dirigent": Herbert von Karajan (1908- 1989). Künstler und Liebhaber feierten ihn als den bedeutendsten Dirigenten seit Erfindung dieses Berufs, als "le grand maître" (Leonard Bernstein) oder als den lieben Gott der Musik persönlich - "le bon dieu", wie Christa Ludwig es einmal anmutig formulierte. Nicht wenige aber warfen den seinerzeit wohl mächtigsten Mann des Musikbetriebs und omnipräsenten Tausendsassa Machtmissbrauch und sein ambivalentes Verhalten im Dritten Reich vor, unterstellten seinen Interpretationen einen musikalisch entseelten Perfektionismus, Oberflächenglanz und technizistische Kälte. Selbst der größte Karajan-Hasser muss allerdings einräumen, dass Karajan ein herausragender Orchestererzieher und ausgezeichneter Kapellmeister war, dass er von außergewöhnlicher musikalischen Begabung war und brennendem musikalischen Fleiß, der an Besessenheit grenzte. Ja, und er war ein Visionär, doch es erging ihm, wie es Visionären eben so ergeht. Irgendwann gehören ihre Visionen eben nicht mehr der Zukunft an, sondern werden Realität, werden zur Grundausstattung, wie etwa die von ihm maßgeblich geförderte Entwicklung der CD und die musikalische Nachwuchsförderung. Dieses CD dokumentiert nun einen ganz kleinen Teil sein musikalischen Erbes: sie umfasst Aufnahmen mit den Berliner Philharmonikern und dem Orchestra del Teatro alla Scala der späten Sechziger bis frühen Achtziger. Franz Liszts „Ungarische Rhapsodie Nr. 5“ ist dabei wie Johann Sebastian Bachs „Konzert für zwei Violinen in d-Moll“ mit den Solisten Christian Ferras und Michael Schwalbé. Hinzu kommen u.a. Ausschnitte aus Johannes Brahms „Deutschen Requiem“, Richard Wagners „Rheingold“, Beethovens Fünfte Symphonie sowie Rachmaninows Zweites Klavierkonzert: alles ausgesprochen stilvoll und hochkultiviert interpretiert. --Teresa Pieschacón Raphael