Man hat ihn in seiner langen Karriere gelegentlich der übertriebenen Glätte und fehlenden Risikobereitschaft bezichtigt. Manche Kritiker meinten, David Sanborn gehe es mit seinem leicht verdaulichen Jazz mehr um Verkäuflichkeit als um künstlerischen Tiefgang. Spätestens nach Another Hand, 1991 mit Neuerern wie Bill Frisell, Joey Baron und Marc Ribot eingespielt, mussten solche Vorurteile korrigiert werden. Die Besserwisser wurden Lügen gestraft, denn der US-Amerikaner, geboren in Tampa, Florida, aufgewachsen in St. Louis, Missouri, zeigte dort, dass er neben dem profitträchtigen Popjazz auch noch jede Menge andere Stilströmungen bis hin zur Avantgarde souverän beherrscht. Auf Time Again stellt Sanborn seine enorme Bandbreite ein weiteres Mal unter Beweis. 28 Jahre nach seinem Solodebüt Taking Off zeigt er sich hier als reifer, erfahrener Instrumentalist der Extraklasse. Mit einer Allstar-Band aus alten Hasen (Randy Brecker, Steve Gadd, Mike Manieri, Don Alias) und jungen Shootingstars (Christian McBride, Russell Malone) spielt er ein buntes, vielfältiges Programm aus beliebten Klassikern und mehreren Eigenkompositionen. Dabei findet sich der Altsaxofonist in jedem Umfeld zurecht. Er kann es funky groovend (in Stanley Turrentines Evergreen "Sugar"), er lässt sein Horn in Latinjazz-Sounds ungestüm röhren ("Tequila"), und er hat weiche Töne voller Herz und emotionaler Wärme drauf (bei Stevie Wonders "Isn"t She Lovely"). In seiner Bearbeitung von Joni Mitchells Song "Man From Mars" (aus deren Album Taming The Tiger) beweist der sechsfache Grammy-Gewinner, dass er auch mit schwierigen Vorlagen etwas anfangen kann. Den religiös gefärbten Klassiker "Cristo Redentor", den Duke Pearson einst nach einem Besuch der Jesusstatue in Rio de Janeiro schrieb, interpretiert er mit einer geradezu spirituellen Inbrunst. Und bei "Comin" Home Baby" präsentiert der inzwischen 57-Jährige sein Improvisationstalent, seinen knackigen Saxton und sein ausgeklügeltes Timing in Vollendung. Ein Vollprofi, der mit allen Wassern gewaschen ist. --Harald Kepler