Naked as a Jaybird (Photobook)
Frei von allen bürgerlichen Zwängen wollten sie sein, die Hippies, die Mitte der 1960er-Jahre von Kalifornien aus die Welt auf den Kopf stellten. Für viele von ihnen hieß das nicht nur Befreiung von der herrschenden miefigen Sexualmoral, die sie im "Summer of Love" einfach wegwischten, sondern auch Befreiung von Hemd und Hose: Bekleidung war die Zwangsjacke einer verklemmten Gesellschaft, und so entstand aus der sexuellen Revolution eine neue Freikörperkultur -- die Jaybirds, wie sich die Nudisten mit den "good vibrations" nannten, überschwemmten das Land. Es entstanden nicht nur zahllose Nudisten-Camps, in denen sich die Hippies frei, wie Gott sie schuf, tummelten, sondern es spross auch eine Vielzahl an "Fachzeitschriften" aus dem Boden: Titel wie Jaybird Journal, Jaybird Safari, Amateur Jaybird, Campus Jaybird, Metropolitan Jaybird, International Jaybird, Jaybird Scene oder auch Woman"s Home Jaybird verbreiteten sich rasch über ganz Amerika. Der Grund für diesen Boom an Nudisten-Zeitschriften war allerdings nicht, dass die FKK-Bewegung so viele Anhänger hinzugewonnen hätte -- nein, es war nur so, dass diese Blätter per Gerichtsbeschluss als "nicht obszön" eingestuft wurden und daher ganz offiziell etwas tun durften, was Magazinen in den USA sonst verboten war: nackte Körper von vorne zeigen. Und so war der Jaybird-Boom -- auch wenn die Macher der Hefte das stets entrüstet von sich wiesen -- im Grunde nichts anderes als ein dickes kommerzielles (und vor allem legales) Geschäft mit Pornografie. Das Buch aus dem Taschen Verlag zeigt auf über 250 Seiten eine reiche Auswahl an Fotos aus den Jaybird-Magazinen, bunt und wild zusammencollagiert und mit Slogans der Bewegung garniert. Man kann sich einen guten Eindruck von der relativ großen Unschuld dieser Nacktfotografie machen -- denn auch wenn einem auf jeder Seite wohlgeformte Brüste, weit geöffnete Vaginen und (freilich unerigierte) Penisse entgegenstarren, erotisch ist das Ganze nicht. Die Versuche, nackte Körper irgendwie natürlich in originellen Posen zur Geltung zu bringen (etwa indem ein Playmobil-Zoo um den dicht bewachsenen Schamhügel einer Frau aufgebaut oder bei einer Modelleisenbahn ein schlaffes Glied als Schranke verwendet wird), sollen einen ungehemmten und spielerischen Umgang mit Nacktheit demonstrieren, wirken aber -- zumindest aus heutiger Sicht -- vergleichsweise lächerlich. So hinterlässt das Buch einen zwiespältigen Eindruck, denn für den Voyeur oder Erotik-Freund unserer Tage sind die Fotos zu altbacken, um eine Gefühls- (oder eine andere) Regung hervorzurufen. Eine wirklich interessante Dokumentation ist das Buch aber auch nicht, denn abgesehen von einem zehnseitigen Einführungstext der Herausgeberin Dian Hanson (dreisprachig auf Englisch, Deutsch und Französisch) bleiben die -- sich schnell wiederholenden und daher etwas ermüdenden -- Fotos und Jaybird-Cover völlig unkommentiert. So ist dieses Buch bestenfalls etwas für Nudisten-Nostalgiker, die verträumt durch die bunten Seiten blättern, sich einen der beigefügten Aufkleber ("Join the Jaybird Nation", "Under My Clothes I"m Nothing" etc.) aufs Auto pappen und von der guten alten Zeit träumen. --Christoph Nettersheim