In Verteidigung der Gesellschaft: Vorlesungen am Collège de France 1975/1976
Preis 31.56 USD
Als auf die Körperpolitik des 17. und 18. Jahrhunderts -- sprich: die Disziplinierung des Individuums -- schließlich im 19. Jahrhundert die Biopolitik folgte -- die Beobachtung der Bevölkerung, ihre demographische Erfassung und statistische Messung --, kam es zu einer paradoxen Fragestellung. Wie kann eine Macht töten und Kriege führen, wenn sie doch durch ihre Intervention zugunsten des Lebens definiert ist? Und zwar nicht nur zugunsten des Lebens Einzelner, sondern ganzer Personengruppen, etwa indem der Staat sich dem Problem der sogenannten Volkskrankheiten, oder dem Problem des Alters zuwendet? Es ist, wie Michel Foucault in der elften und letzten seiner Vorlesungen am Collège de France feststellte, der Rassismus, auf den der moderne Staat das alte Recht des Souveräns, sterben oder leben zu lassen, überträgt. Der Rassismus erlaubt es, die alte Beziehung kriegerischen Typs ("wenn du leben willst, muß der andere sterben") in eine Beziehung biologischen Typs umzustrukturieren. Der Tod des Anderen bedeutet dann nicht nur mein Überleben, weil er meine persönliche Sicherheit erhöht; nein, der Tod des Anderen, der Tod der bösen, degenerierten, niederen Rasse wird mein Leben und das meines Volkes sogar gesünder machen und reiner. Vor allem dank des Rassismus", so muß man mit Foucault folgern, ist im modernen Staat Kriegsführung noch möglich, und so verwundert es dann sehr viel weniger, daß der Völkermord, sei es in Ruanda, Bosnien oder jetzt Tschetschenien, auch nach Auschwitz noch regelmäßig stattfindet. Nicht ohne Grund firmieren die nun auf Deutsch herausgebenen Vorlesungen, in denen Foucault vor inzwischen mehr als 20 Jahren über die Entstehung des modernen Geschichtsbewußtseins, die Herausbildung der Begriffe Nation, Klasse und Rasse, oder das Verhältnis zwischen Disziplin und Dialektik räsonierte, unter dem Titel In Verteidigung der Gesellschaft. Komplex und bruchstückhaft angelegt, wie von Foucaults anderen Schriften her bekannt, sind sie heute aktueller denn je. --Brigitte Werneburg