Von Grashalmen und Hochhäusern
Wir alle haben schon davon gehört, wie unvergleichlich reißfest Spinnenseide ist oder dass Haihaut den Reibungswiderstand enorm mindern soll. Kann der Blick in die Natur also einen Großteil unserer technischen Probleme lösen? So einfach ist das nicht, sagt Steven Vogel, Professor für Biologie. Denn die beiden Technologien -- die der Natur und unsere -- weisen zwar Gemeinsamkeiten, aber auch große Unterschiede auf, die einfache Übertragungen nur selten möglich machen. Spinnenseide beispielsweise ist zwar enorm reiß-, aber nicht sehr zugfest, was sie für viele Zwecke untauglich macht. Mit den Worten des Biomechanikers auf den Punkt gebracht: "Die Natur ist typischerweise winzig, nass, nicht metallisch, unberädert und flexibel. Die Technologie des Menschen ist meist das Gegenteil: groß, trocken, metallisch, berädert und hart." Das bedeutet nicht, dass uns die Natur nicht wertvolle Impulse für technologische Entwicklungen geben kann -- Vogel nennt als viel versprechende Bereiche zum Beispiel Nanotechnologie, Verbundstoffe, Muskelmaschinen und gehende Fahrzeuge. Doch er wehrt sich dagegen, die eine Technologie für besser zu halten als die andere. Es sind nämlich unterschiedliche Systeme, die verschiedenen Anforderungen genügen müssen. Ein Organismus muss beispielsweise wachsen können, was bestimmte Formen praktischer macht als andere -- dies spielt bei unserer Technologie keine Rolle. Ein technisches Gerät soll wartungsarm sein -- während in der Natur Strukturen ständig neu zusammengesetzt werden. Das Kleine und das Große, Winkel und Kanten, Hartes und Weiches, Maschinen, Fertigung und Wartung: Wir lernen beide Technologien detailliert kennen und erfahren durch den Vergleich Spannendes über beide. Nach der Lektüre weiß man, dass beide Systeme Wunder bereithalten, die sich nicht voreinander zu verstecken brauchen. Fazit: Blindes Nachahmen ist unsinnig, differenziertes Vergleichen jedoch sehr fruchtbar. Wie das aussehen könnte, zeigt Vogel uns in einem Ausblick am Ende dieses enorm detailreichen und oft amüsant geschriebenen Buches. Einziges Ärgernis: die unzähligen Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler. Ein Buch wie dieses hätte ein anständiges Korrektorat verdient gehabt. --Gabi Neumayer