Messe in H-Moll/Ozawa

EAN/UPC/ISBN Code 28946836323


Hersteller Archive

Land USA

Konventionelle Klangkörper und Dirigenten haben in den vergangenen Jahrzehnten von den Errungenschaften der historischen Aufführungspraxis gelernt, wird oft behauptet; Konzertbesuche und CDs enttäuschen den in dieser Hinsicht erwartungsfrohen Hörer allerdings nicht selten, wenn barocke Musik einmal mehr im sülzigen Romantik-Gewand erklingt. Seiji Ozawas Aufnahme der H-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach ist anders. Das Saito-Kinen-Orchestra fiel in den letzten Jahren immer wieder durch ausgesprochen "auf den Punkt gebrachte" und präzise, dabei gleichzeitig schlanke und stilistisch angemessene Interpretationen auf; ein Beispiel ist die im letzten Jahr veröffentlichte Aufnahme von Beethovens erster Symphonie. Was Seiji Ozawa und seine Musiker auf dem Gebiet der klassischen Sinfonik vermochten, gelingt ihnen erstaunlich professionell auch bei Bach: Sie treffen den Tonfall der "musikalischen Klangrede" über weite Strecken sehr gut, wenn auch bisweilen jenes hohe Maß an Lebendigkeit fehlt, das Instrumentalisten erreichen können, die sich auf historischen Instrumenten hauptsächlich mit der barocken Tonsprache beschäftigen; sie partizipieren ständig am gesungenen Text, an seiner Aussage und seiner grammatikalischen Struktur. Mag sein, dass in diesem Punkt auch die Sprachbarriere hinderlich ist. An der Schnittstelle zwischen Wort und Ton leistet allerdings die überragende Continuospielerin Christine Schornsheim unschätzbare Dienste. Sie trägt dazu bei, dass diese stark an historisierenden Vorbildern orientierte Bach-Interpretation nicht zur bloßen Imitation verkommt. Für den Chor gilt Ähnliches wie für das Orchester. Wer die "Tokyo Opera Singers" auch genau sein mögen (das Beiheft gibt keinen Aufschluss darüber): Sie erreichen vor allem in den Frauenstimmen eine erstaunliche Transparenz und Flexibilität. Unter den insgesamt sehr ansprechenden Vokalsolisten überzeugt vor allem die Barock-erfahrene Barbara Bonney, neben der Angelika Kirchschlager zwar stimmschön, aber nicht ganz unprätentiös erscheint. Bei den Männern trifft John Mark Ainsley den barocken Duktus recht gut, ohne allerdings ganz intonationsrein zu sein. Alastair Miles hingegen bügelt recht unsensibel durch die beiden Bassarien, Klangrede findet bei ihm nicht statt. Alles in allem kann die vorliegende Einspielung für den Kenner nicht eine vollwertige Alternative zu Aufnahmen wie derjenigen von John Eliot Gardiner sein. Dennoch ist sie ein äußerst lebendiges Zeugnis für die schon lange ausstehende Annäherung "historisierender" und "konventioneller" Musizierpraxis, außerdem für sich genommen sehr wohlklingend und sensibel gestaltet. --Michael Wersin