Letzte Tänze

Wenn Günter Grass ein Buch beendet hat, erholt er sich beim Bildhauern oder Töpfern von den Strapazen. So war es auch nach Vollendung seiner hoch gelobten Novelle Im Krebsgang. "Als ich des Schiffes Untergang/und den nachhallenden Schrei/zum Buch verkürzt hatte", heißt es dementsprechend im Gedicht "Gottähnlich" aus Letzte Tänze, "wollte ich etwas Heiteres/zum Gegenstand meiner Laune machen/und begann aus Töpferton/Figuren -- Mann und Frau in Bewegung -- /als Hohlkörper zu formen". Dass es Grass nicht lange ohne Schreibtisch aushielt, davon erzählt dieser Band. Letzte Tänze versammelt 36 manchmal virtuose Gedichte des Literatur-Nobelpreisträgers, die in expressiver Manier teils mehrere Seiten umfassen ("Des Wiederholungstäters halbherzige Beichte"), zum Teil aber auch, fast schon im meditativen Stil von William Carlos Williams, winzige Alltagsdetails mit oft sexuellem Anklang in prägnanter Kürze zur Metapher verdichten: "Als wir uns lösten/und Fäden zogen,/kam Hunger auf,/doch greifbar waren/nur Möhren: knackig,/weil roh." Das ist nicht immer ganz geglückt ("und die Jungfrau -- jadoch, Maria! -- /erkannte mich: beinebreit"), in den gelungensten Momenten aber lyrisch schön. Garniert ist das Buch mit Zeichnungen von drehenden und kopulierenden Paaren, die sich in einer Art Totentanz im Reigen drehen, wie Vampire durch die Seiten wandern oder hilflos kopfunter Purzelbäume schlagen und dennoch viel von jener tragikomischen Heiterkeit transportieren, von der das Gedicht "Gottähnlich" sprach. --Thomas Köster