Driving Rain

Paul McCartneys Fähigkeit, auf eine Herausforderung angemessen zu reagieren, ist bisher bei der Bewertung seiner wechselhaften Post-Beatles-Karriere noch zu wenig berücksichtigt worden. Nachdem er bereits bei seiner letzten ein wenig obskuren Sammlung von Cover-Versionen Run, Devil Run einige persönliche Dämonen und historische Rock-"n"-Roll-Gespenster vertrieben hatte, ist dies das erste Album mit neuen Songs von Sir Paul nach dem Tod seiner Frau Linda. Es ist erfreulicherweise ein reifes, musikalisch bewegendes, persönliches und nachdenkliches Werk -- und schließlich ein Album, das neben Tug Of War und Flowers In The Dirt als eines seiner besten Solo-Darbietungen mithalten kann. Geprägt wird dies alles durch David Kahnes einfühlsame, zurückhaltende und dennoch kraftvolle Produktion sowie McCartneys immer noch fantastisches Stimmvermögen. Es bleiben nur noch wenige Spuren der zuckersüßen Popmusik und der Sentimentalitäten übrig, die lange Zeit Fans und Kritiker gleichermaßen gestört haben. Selbst der harmlos-unbekümmerte Titel-Track (der mit seinem "1-2-3-4-5"-Refrain an "All Together Now" erinnert) nimmt erfreulicherweise ein markantes, ausdrucksstarkes Profil an. Überall ist ein neuer Sinn für emotionale Beziehungen zu spüren, seien es die Anspielungen auf seine eigene persönliche Tragödie (das beunruhigende "Lonely Road", das melancholische "From A Lover To A Friend" und das klagende "I Do") oder das ruhige, aber eindringliche "She"s Given Up Talking" und die Ironie im Blues-Stil von "Back In The Sunshine Again" und "Rinse The Raindrops". Im Mittelpunkt steht ein melancholischer, mühselig erworbener Sinn für Hoffnung; das strahlende, neoklassische "Heather" ist seiner neuen Liebe gewidmet und enthält ein Instrumental-Vorspiel, das "Abbey Road" alle Ehre machen würde. Es ist um einen einzigen kurzen Vers, um verspielt gefühlvolle Prosa herum aufgebaut. Dieser Track und die exotischen Motive orientalischer Musik bei "Riding Into Jaipur" (mit einem noch knapperen Wortschatz) unterstreichen den Eindruck, dass Paul McCartneys beste musikalische Begabungen und seine künstlerische Neugier noch längst nicht eingeschlafen sind. Hinzu kommt als Zugabe der Live-Track "Freedom", eine einfache Hymne als Reaktion auf die Ereignisse des 11. September 2001 und deren historische Nachwirkungen. Der Mann, der einst "All You Need Is Love" gesungen hat, ist jetzt bereit, für das Recht auf Freiheit zu kämpfen ("Fight for the right to Freedom"). Tja, die Zeiten ändern sich. --Jerry McCulley